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Ein Besuch … im Textil- und Rennsportmuseum Hohenstein-Ernstthal

Das Textil- und Rennsportmuseum Hohenstein-Ernstthal erstreckt sich über beeindruckende fünf Etagen und hat wahrhaft viel zu erzählen … Einerseits steht es für einen Wirtschaftszweig, der eine ganze Region dominierte, und für ein handwerkliches Können, das Kreativität mit höchster Qualität vereinte. Zum anderen widmet sich das Museum der mehr als 90-jährigen Geschichte der legendären Rennstrecke Sachsenring. Der Kurs ist jedes Jahr Schauplatz für das größte Sportereignis in Sachsen, den Motorrad Grand Prix Deutschland.

Hier bestellte Kaiser Wilhelm seine Unterhosen

Jaquard-Webstuhl im Websaal des Textil- und Rennsportmuseums Hohenstein-Ernstthal

Bei Schauvorführungen im Websaal des Textil- und Rennsportmuseums lebt die Arbeitswelt von einst wieder auf. Foto: Oliver Göhler

Bis 1991 ratterten hinter der Fassade des imposanten Fabrikbaus in der Hohenstein-Ernstthaler Antonstraße die Webstühle der Decken- und Möbelstoffweberei C. F. Jäckel, die 1975 an den VEB Möbelstoff- und Plüschwerke (MPW) Hohenstein-Ernstthal angegliedert wurde. In der Stadt und den umliegenden Orten hatte nach dem Niedergang des Silbererzbergbaus im 19. Jahrhundert besonders die Textilindustrie begonnen zu florieren. Die Firmen lieferten etwa Wandteppiche sowie Bett- und Tischwäsche in alle Welt.

Zu einem Inbegriff für exzellente Produkte wurden zum Beispiel die „Hohensteiner Deckenweber“. Ein Beobachter schrieb um das Jahr 1900 beeindruckt nieder: „Stöße von weißen Waffelbettdecken […] häufen sich zu wahren Bergen, und nicht mindergroß sind die Posten der bunten, sogenannten altdeutschen Bettdecken, die in nur denkbar möglichen Farbtonungen zur Ablieferung gelangen.“ Für ihre feinen Strumpfwaren und Unterwäscheartikel waren die Betriebe im benachbarten Oberlungwitz bekannt.

„Selbst Kaiser Wilhelm II. bestellte einst seidene Unterhemden und -hosen bei der Firma von Wilhelm Friedrich Bahner“,

plaudert Museumsleiterin Marina Palm aus dem Nähkästchen. Einige für ihn hergestellte Stücke lagern heute im Depot. Statt nach Potsdam geschickt zu werden, blieben sie nach der Abdankung des Herrschers 1918 in Westsachsen.

Ikea-Stoffe „Made in GDR“ als Devisenbringer

Nach dem Zweiten Weltkrieg lief die Produktion in der DDR unter veränderten Vorzeichen in verschiedenen Volkseigenen Betrieben (VEB) weiter. Allein beim VEB MPW waren in Hochzeiten bis zu 5.000 Menschen beschäftigt. Hier entstanden unter anderem die Bezüge für die markanten senfgelben Sessel im großen Saal des Palastes der Republik in Berlin oder für die Autopolster von Trabi und Wartburg.

Die Textilien waren aber auch wichtige Devisenbringer. Schon in den 1970er und 80er Jahren orderte der schwedische Möbelriese Ikea Stoffe „Made in GDR“. Wer hätte das gedacht?

Möbelstoffe aus den 1970er Jahren in der Dauerausstellung des Textil- und Rennsportmuseums Hohenstein-Ernstthal

Möbelbezüge aus den 1970er Jahren wecken in der Ausstellung „Möwe, Hirsch und Sandmännchen – Von Hohenstein-Ernstthal in die Welt“ Erinnerungen. Foto: TRM Hohenstein-Ernstthal

Von diesen und anderen Episoden und Meilensteinen berichtet die 2020 neugestaltete Dauerausstellung „Möwe, Hirsch und Sandmännchen – Von Hohenstein-Ernstthal in die Welt“. Hier treten jene ins Rampenlicht, die ihre Brötchen von 1900 bis 1991 in der heimischen Textilindustrie verdienten. Mit diesen Menschen durchwandern die Besucher das Jahrhundert, tauchen ein in die Geschichte der zahlreichen Firmen und erleben, wie viele Arbeitsschritte vom Entwurf bis zum fertigen Produkt nötig waren. Dabei werden sie beispielsweise selbst zum Musterzeichner und gelangen vielleicht zu einer Erkenntnis, die Marina Palm schon häufig beobachtet hat:

„Auch wer nicht aus der Branche stammt, merkt bei uns, welche Mühe in der Textilherstellung steckt, und entwickelt eine ganz andere Wertschätzung dafür.“

Vom liquidierten Großbetrieb zum Museum

Nach der Liquidation des Großbetriebes VEB MPW im Zuge der Wiedervereinigung wäre unweigerlich auch das gesamte Inventar verlorengegangen – hätte es Gisela Rabe nicht gegeben. Die Diplom-Ingenieurin in der Forschung und Entwicklung markierte zahlreiche wertvolle historische Maschinen, Muster und Unterlagen aus den 56 Produktionsstätten vorausschauend mit einem Schild: „Textilmuseum“ stand darauf. Das Museum wurde schließlich 1995 in Trägerschaft eines Fördervereins eröffnet.

Nahaufnahme von Gartenspulen

Das Museum vermittelt eindrucksvoll, wie viele Arbeitsschritte bis zum fertigen Textilprodukt nötig sind. Foto: TRM Hohenstein-Ernstthal

Die altgedienten Jacquard-Webstühle stehen heute in der Schauwerkstatt und werden bei Führungen, Festen und für eine eigene kleine Museumsproduktion regelmäßig in Gang gesetzt. „Dann lebt die Arbeitswelt von damals wieder auf“, schwärmt Marina Palm. Doch auch wenn die Webstühle stillstehen, riecht man im Websaal noch immer die Maschinenschmiere in der öldurchtränkten Dielung.

Rennmaschinen und begeisterte Fans: Legenden vom Sachsenring

Im Dachgeschoss widmet sich die Ausstellung „Legenden vom Sachsenring“ dem zweiten Themenschwerpunkt des Museums: der engen Verbundenheit Hohenstein-Ernstthals mit dem Motorradrennsport. Chronologisch folgt der Rundgang der Geschichte des Sachsenrings vom ersten Badberg-Vierecks-Rennen im Jahr 1927 über den Großen Preis von Europa in den 1930er Jahren und die Weltmeisterschaftszeit zwischen 1961 und 1972 bis zum Ende der alten Rennstrecke 1990 und dem Neubeginn des MotoGP auf dem Gelände des Verkehrssicherheitszentrums 1998.

Rennwagen in der Sachsenring-Ausstellung des Textil- und Rennsportmuseums Hohenstein-Ernstthal

In der Ausstellung „Legenden vom Sachsenring“ steht die Geschichte der bekannten Rennstrecke im Mittelpunkt. Foto: TRM Hohenstein-Ernstthal

Rund 25 Motorräder dokumentieren den technischen Fortschritt der Rennmaschinen – darunter Marken wie Ifa-DKW, Bianchi, Yamaha, Suzuki, Ducati, Honda, Montesa und natürlich MZ und Simson in zahlreichen Varianten. Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist der DDR-Formelrennwagen MT 77 aus der „Formel 1 des Ostens“, die vor allem in den 1980er Jahren das Publikum anzog. Beleuchtet werden zusätzlich Themen wie die Rad-WM 1960, die Frauen am Ring, Risiken und Unfälle sowie die ungebrochene Begeisterung der Zuschauer. Im Kinobereich geben sechs Filme bewegte Eindrücke aus den unterschiedlichen Epochen.

Autorin: Claudia Weber

Textil- und Rennsportmuseum

Antonstraße 6, 09337 Hohenstein-Ernstthal

Tel. 03723 47711

Öffnungszeiten

Dienstag–Sonntag 13–17 Uhr

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