Sachsens botanische Schatzkammer bei Pirna
Das Örtchen Zuschendorf, eingebettet ins Tal des Flüsschens Seidewitz, wirkt an ruhigen Tagen recht beschaulich. Doch wenn sich der frühere Gutspark mit dem Landschloss in ein Blütenparadies verwandelt, wird der kleine Ortsteil von Pirna zum Mekka für Pflanzenliebhaber. Je nach Jahreszeit zeigen sich hier Kamelien, Azaleen, Rhododendren und Hortensien in ihrer ganzen Pracht an Farben, Formen und Düften.
Dabei erscheint es heute unvorstellbar, wie marode das einst herrschaftliche Anwesen noch vor gut 30 Jahren aussah. Von Blütenpracht keine Spur. Im Gelände des früheren Rittergutes dominierten vielmehr Verfall und Wildwuchs.
„Das Schloss befand sich in einem äußerst desolaten Zustand“, schaut Wolfgang Friebel zurück. Der langjährige Gartenmeister des Schlossparks von Pillnitz erinnert sich gut daran, dass man von unten durch alle Etagen des Gebäudes hindurchschauen konnte. Friebel ist Vorsitzender des Fördervereins, der 1991 für das Landschloss in Zuschendorf gegründet wurde.
„Es ist fast ein Wunder, was dort passiert ist“,
urteilt er. Es sei nicht nur gelungen, die Gesamtanlage Stück für Stück wiederherzustellen. Auch historisch wertvolle Pflanzenbestände aus verschiedenen Gartenbetrieben der früheren DDR fanden in Zuschendorf dauerhaft ihren Platz.
Glückliche Umstände trafen dabei auf das enorme Engagement einzelner Personen. Inzwischen gehören die bedeutenden Sammlungen als Außenstelle zum Botanischen Garten der Technischen Universität Dresden, wobei der Weg alles andere als geradlinig verlief.
Die Kamelien – das „Tafelsilber des sächsischen Gartenbaus“
Das Volkseigene Gut (VEG) Saatzucht Zierpflanzen Dresden hatte das Areal in Zuschendorf 1988 erworben. Der Betrieb war seinerzeit auf der Suche nach Erweiterungsflächen für seine Pflanzensammlungen. Schon bald darauf – nach dem Ende der DDR – bekam der Standort eine noch stärkere Relevanz, als es darum ging, Raritäten aus Gärtnereien zu retten, die vor dem Abriss standen.
Wichtigster Teil im Zuschendorfer Bestand sind die rund 360 Arten und Sorten von Kamelien. Matthias Riedel, der technische Leiter der Botanischen Sammlungen vor Ort, nennt sie „das Tafelsilber des sächsischen Gartenbaus“, auch weil etwa 140 Mutterpflanzen aus dem traditionsreichen Betrieb einer in Fachkreisen berühmten Gärtnerfamilie stammen.
Zwei Söhne des sächsisch-kurfürstlichen Hofgärtners Johann Heinrich Seidel (1744–1815) hatten 1813 den Gartenbaubetrieb „Gebrüder Traugott Jacob Seidel“ in Dresden gegründet. „Damit entstand die erste Spezialgärtnerei neuen Typs im deutschen Zierpflanzenbau“, sagt Riedel.
Das sächsische Unternehmen kultivierte zunächst Kamelien, denen ab 1836 Azaleen und später auch winterharte Rhododendren folgten. „Das sind genau die drei Kulturen, die unsere Sammlungen heute ausmachen und die allesamt unter Denkmalschutz stehen“, hebt Riedel hervor, der auch die Geschäfte des Fördervereins Landschloss Pirna-Zuschendorf führt.
Stecklingsvermehrung in der Pflanzenfabrik der Gebrüder Seidel
Die Seidelsche Gärtnerei entwickelte sich seinerzeit zu einer regelrechten Pflanzenfabrik. „Entscheidend dafür war die Einführung der Stecklingsvermehrung“, berichtet Riedel. 1842 produzierte der Betrieb bereits jährlich mehr als 100.000 Pflanzen. Zunehmend wurde die grüne Ware aus Dresden-Laubegast exportiert.
Der damals weltweit größte Kamelienproduzent belieferte Kunden in ganz Europa, Amerika und Asien. Nur ein Beispiel, wo Sorten mit Seidelscher Herkunft noch heute gedeihen, ist der Kamelienpark in Locarno (Schweiz).
Zu DDR-Zeiten enteignet, kam nach 1990 das Aus für die Gärtnerei mit Tradition. „Schnelles Handeln war gefragt, um nicht nur dort alte Sorten zu sichern“, schaut Matthias Riedel zurück. Von Beginn an leitete der Gartenbauingenieur den Aufbau der Sammlungen in Zuschendorf. Dort mussten zuerst die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um frostempfindliche Pflanzen überhaupt unterbringen zu können.
In der Laubegaster Gärtnerei, die vor der Auflösung stand, wurden deshalb Gewächshäuser abgebaut, um sie im Pirnaer Ortsteil wiederzuerrichten. Auch zwei originale Häuser aus der früheren Hofgärtnerei in Pillnitz wurden nach Zuschendorf umgesetzt. Schrittweise vergrößerte sich die Fläche unter Glas auf mehr als 1.800 Quadratmeter.
Nur drei der heute neun Gewächshäuser werden für reine Sammlungszwecke genutzt. Die anderen sechs stehen zur Besichtigung offen und beim Rundgang lassen sich viele blühende Schönheiten bestaunen.
Opulente Blütenschauen für Kamelien und Azaleen
Die Saison beginnt im zeitigen Frühjahr mit der Kamelienblüte, die Ende März ihren Höhepunkt erreicht. Gewissermaßen fließend ist der Übergang zu den Indischen Azaleen, die sich vor allem in der zweiten Aprilhälfte entfalten. Diese Pflanzen werden alljährlich ebenso wie zuvor die Kamelien mit einer opulenten Schau in den Räumen des Landschlosses in Szene gesetzt. In Zuschendorf wird die Azaleensammlung der ehemaligen „Königlichen Hofgärtnerei zu Pillnitz“ bewahrt, die etwa 360 Sorten umfasst.
Unmittelbar nach den Azaleen erblühen die Rhododendren, die sich überall im Freigelände verteilen. Die immergrünen Sträucher in unterschiedlichen Farben gruppieren sich beispielsweise rund um den Teich im Park. Ein neu angelegtes Feld mit diversen Sorten dieser Moorbeetpflanzen befindet sich auf der anderen Seite der Straße, wo der Förderverein 2006 eine etwa drei Hektar große Fläche in Sichtweite zum Schloss hinzukaufte.
Im Juli und August haben die Hortensien in Zuschendorf ihren großen Auftritt. Bis 2023 fand im Schloss auch eine Ausstellung statt, die 16 Mal in Folge die Vielfalt dieser Gattung sehr üppig präsentierte. Eine Fülle an farbenprächtigen Pflanzen wurde dafür extra herangezogen.
Die Züchterin, die sich jahrelang dieser Aufgabe mit Hingabe widmete, sei nun in den Ruhestand gegangen, bedauert Riedel. Deshalb wird es die Hortensienschauen in der bisherigen Form nicht mehr geben.
Dennoch darf sich das Publikum 2024 auf die „Große Sommerblüte im Park“ freuen. In Form und Farbe sehr verschiedene Hortensien werden dazu in Schaugruppen unter freiem Himmel arrangiert, kündigt der Leiter der Anlage an. Immerhin rund 500 Arten und Sorten zählt die Hortensiensammlung am Standort. Zugleich gehört sie als Bestandteil zur Deutschen Genbank Zierpflanzen des Bundessortenamtes, ebenso wie die Zuschendorfer Bestände an Azaleen und Rhododendren.
Pflanzen im Fokus der Forschung
„Wir sind verantwortlich, die genetischen Ressourcen für die Zukunft zu erhalten“, sagt der Direktor des Botanischen Gartens in Dresden, Christoph Neinhuis. Schließlich lasse sich anhand der Sammlungen die Sortenentwicklung nachvollziehen. Bewahren sei dabei kein Selbstzweck.
„Wir begleiten die Forschung“,
macht der Wissenschaftler deutlich. Mit Blick auf den Klimawandel stelle sich beispielsweise die Frage, wie Hortensien bei Trockenheit mit Wassermangel zurechtkommen. Insofern habe die Genbank auch unschätzbaren Wert für neue Züchtungen.
Die Technische Universität Dresden sowie Sachsens Umwelt- und Landwirtschaftsministerium finanzieren seit 1998 fünf Personalstellen in Zuschendorf. Die regelmäßigen Ausstellungen in Schloss und Park hält Christoph Neinhuis schon deshalb für unverzichtbar, um die Öffentlichkeit über den Auftrag der Außenstelle des Botanischen Gartens und die dort versammelten Raritäten zu informieren. „Die schönen Pflanzen hinterlassen nicht nur einen ästhetischen Eindruck, so dass der Besuch zum Erlebnis wird, sondern sind auch Gegenstand laufender Forschungsprojekte“, unterstreicht der Botanikprofessor.
Der Rundgang durch den Park hält manch überraschende Entdeckung bereit, darunter die Bonsai-Schauanlage mit einheimischen Gehölzen. Schwarzkiefer, Winterlinde oder Feldahorn sind beispielsweise als Zwergbäume zu sehen, die durch permanenten Schnitt in Form und kleingehalten werden. Die Einbindung von Bonsai bot sich an, weil sowohl Kamelien, Azaleen und Rhododendren als auch Hortensien ihren Ursprung in Ostasien haben.
Im oberen Teil des ansteigenden Geländes, wo ursprünglich eine Mooshütte gestanden haben soll, wurde ein japanischer Teegarten angelegt. Welcher Zusammenhang hinter dieser Idee steckt, erklärt Standortleiter Matthias Riedel:
„Die wichtigste Nutzpflanze unter den Kamelien ist der Tee.“
Über die Jahre hat der Trägerverein die gesamte Anlage in Zuschendorf mit viel Eifer neu gestaltet. Dass es sich gelohnt hat, zeigt das Interesse des Publikums. Beinahe 57.000 Menschen besuchten 2023 die Botanischen Sammlungen und damit rund 10.000 mehr als im Jahr zuvor.
Autorin: Anett Böttger
Dieser Artikel ist im Reisemagazin GartenTour 2024 erschienen, in dem Sie noch viele weitere Artikel über Gärten, Parks und Schlösser aus ganz Deutschland finden. Bestellen Sie die GartenTour 2024 in unserem Online-Shop.