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Der Leuchtturm von Moritzburg: Illusion in Perfektion

In der Moritzburger Kulturlandschaft nördlich von Dresden verblüfft ein kleiner Leuchtturm mit Mole fernab vom Meer. Er erzählt von einer Zeit, als der Adel seiner Fantasie freien Lauf ließ und aufsehenerregende Seefeste inszenierte.

Opulente kurfürstliche Feste mit maritimem Flair

Was tut ein Kurfürst, wenn er einen Rückzugsort vom strengen Hofzeremoniell sucht? Friedrich August III., der Urenkel Augusts des Starken, fand ihn in Moritzburg. Dem herrschaftlichen Jagdschloss zog er jedoch die Gegend um den abgeschieden gelegenen Großteich vor, wo er sich ab 1770 das „Neue Palais am Fasanengarten“, besser bekannt als Fasanenschlösschen, errichten ließ.

Mindestens einmal in der Woche hielt sich der Monarch in seinen frühen Regierungsjahren während der Sommermonate hier auf, um zu jagen oder zu fischen. Seine Gemahlin Kurfürstin Amalie Auguste ging indes an Land dem Kartenspiel mit ihren Hofdamen nach.

Fasanenschlösschen Moritzburg

Kurfürst Friedrich August III. ließ sich am abgeschieden gelegenen Großteich von Moritzburg ab 1770 das Fasanenschlösschen errichten. Foto: Sylvio Dittrich

Bereits der erste Namenstag Amalie Augustes nach der Hochzeit des jungen Paares war im ländlichen Idyll gefeiert worden und zwar maritim: Der 3. August 1769 hatte nach einem Frühstück der kurfürstlichen Familie auf der eigens aufgeschütteten Eremitageinsel eine große Wasserjagd zum Vergnügen der geladenen Gäste gesehen. Im Hofjournal ist außerdem von einem Bären auf einem Floß die Rede.

Das bunte Treiben der Jagd- und Festgesellschaft in blau-weiß gestreiften Gondeln auf dem See und zu Pferde oder flanierend an seinen Ufern hatte der Dresdner Maler Johann Christoph Malcke auf einem großformatigen Wandgemälde festgehalten. Eine Rekonstruktion des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bildes hängt heute wieder wie früher im Speisesaal des Fasanenschlösschens.

Flotte der Zarin Katharina als Gesprächsthema in Europa

illusionistische Fassade des Moritzburger Leuchtturms

In seiner heutigen Architektur ähnelt der Leuchtturm beinahe einer chinesischen Pagode. Unter der illusionistischen Bemalung verbirgt sich Bruchstein. Foto: Sylvio Dittrich

Auf einen Leuchtturm mussten die adeligen Müßiggänger bei ihrer „seemännischen“ Inszenierung damals freilich noch verzichten. Doch es nahte ein Ereignis, das sowohl dem Kurfürstenpaar als auch seinem Kammerherrn Camillo Graf Marcolini zur Quelle neuer Inspiration werden sollte: die Seeschlacht von Çeşme im Jahr 1770. In diesem Gefecht während des Russisch-Türkischen Krieges vernichtete die Flotte von Zarin Katharina der Großen die Geschwader des Osmanischen Reiches im Ägäischen Meer.

In ganz Europa war diese Nachricht Gesprächsthema. Von vielen, allen voran der Zarin, als Held gefeiert und mit Ehrungen überhäuft wurde der russische Oberbefehlshaber Graf Alexej Orlov. 1774 endete schließlich auch der Krieg siegreich für die Russen.

Wenig später kam der sächsische Hof in den Genuss eindrucksvoller Einblicke aus erster Hand. Graf Orlov höchstselbst hatte sich im Frühjahr 1775 in Dresden niedergelassen und wurde in der Folge mehrmals vom Kurfürsten empfangen. Insbesondere seine Schilderungen der Ereignisse vor der türkischen Küste müssen die Herrschaften wahrhaft in ihren Bann gezogen und den Wunsch geweckt haben, eine solche Seeschlacht nachzustellen.

Fürstliche Seeschlacht bei allerbestem Wetter

Zwar existieren keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber und die Historiker begeben sich hier ins Reich der Vermutungen, doch schon ein Jahr später waren die geeigneten Kulissen am Bärnsdorfer Großteich auf Veranlassung des Grafen Marcolini vollendet: der mit illusionistisch bemaltem Mauerwerk verzierte pagodenförmige Leuchtturm an der Spitze einer sanft geschwungenen Mole, der Hafen und die künstlichen Ruinenmauern der „Dardanellen“ an der Kanalmündung, en miniature den Festungen an der tatsächlichen Dardanellen-Meerenge zwischen Ägäis und Marmarameer nachempfunden.

Bald machten Einladungen zu einem neuen Höhepunkt höfischen Amüsements die Runde. Am 10. September 1776 schifften sich allerlei hochwohlgeborene Persönlichkeiten zur fürstlichen Seeschlacht ein. Das Hofjournal berichtet von einer mit Kanonen geschmückten zweimastigen Fregatte und die Kurfürstin selbst beschrieb ihrer Schwiegermutter in einem Brief einen Festtag mit „unterschiedlichsten Unterhaltungen“ bei allerbestem Wetter.

Lampenhaus Moritzburg Leuchtturm

Auch wenn er keine Funktion für die Schifffahrt hat, so ist der Moritzburger Leuchtturm doch Deutschlands ältester Binnenleuchtturm. Foto: Sylvio Dittrich

Welcher Art die Belustigungen waren, die Graf Marcolini neben der Bootsfahrt geplant hatte, bleibt leider unklar. Waren vielleicht sogar Männer aus der Umgebung als Statisten engagiert, um das Schlachtgeschehen von Çeşme nachzuspielen, wie es Legenden erzählen? Wurden Schiffe in Brand gesetzt, ähnlich der türkischen Flotte? Endete der Tag mit einem grandiosen Feuerwerk wie schon das Wasserfest anno 1769?

Schriftliche Belege dafür wurden bis heute nicht gefunden, genauso wenig wie zu weiteren Seeschlachten, die dieser ersten womöglich folgten. 1790 jedenfalls lief in Moritzburg sogar noch ein zweites, 30.000 Taler teures Schiff unter den Augen zahlreicher Schaulustiger vom Stapel. Häufig genutzt wurde es indes wohl nicht mehr und irgendwann ganz aufgegeben. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege musste die einst stolze Fregatte demontiert wurde.

Ein Leuchtturm in rosé, aber ohne Meer

Am Leuchtturm scheinen die Jahrhunderte spurlos vorbeigegangen zu sein, in Wahrheit steckt dahinter natürlich eine Sanierung in jüngerer Vergangenheit. Die rokokotypische rosarote Fassade des pittoresken Staffagebaus mag heute wie ein Kleinmädchen-Traum wirken, traf Ende des 18. Jahrhunderts aber genau den Geschmack der Zeit.

Aus den Fenstern des achteckigen Lampenhauses reicht der Rundblick in die Moritzburger Kleinkuppenlandschaft vom Fasanenschlösschen und dem ehemaligen Hafen über die Stern- und die Eremitageinsel bis zum Damm, der den Teich seit etwa 1913 teilt. Zugunsten der Karpfenzucht konnte so der Wasserspiegel im Niederen Großteich um rund 1,50 Meter abgesenkt werden – das „Sächsische Meer“, wie es der Italiener Camillo Graf Marcolini aus der Hafenstadt Fano in seiner Wahlheimat erschuf, bleibt dadurch allerdings ein Bild der Fantasie.

Leuchtturm Moritzburg mit Mole

Foto: Sylvio Dittrich

Autorin: Claudia Weber

Der Moritzburger Leuchtturm in Zahlen

  • erbaut um 1776
  • 21,80 Meter hoch
  • Aussichtsplattformen in 5,80 und 10 Metern Höhe
  • 74 Stufen

Öffnungszeiten

Der Leuchtturm ist nur im Rahmen von Führungen zugänglich. Diese können auf Anfrage über den Besucherservice des Fasanenschlösschens gebucht werden.

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