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August der Starke und sein Baumeister Pöppelmann

„Was meint er, traut er sich einen großen Entwurf zu?“ Ohne Perücke und Samtrock steht August der Starke an einem Tag im Jahr 1705 in seinem Schloss und fixiert Matthäus Daniel Pöppelmann, den gerade ernannten Landbaumeister.

Es ist eine schicksalhafte Begegnung von zwei zutiefst verschiedenen Männern, die der sächsischen Metropole Dresden gemeinsam ihr Gesicht geben werden. Pöppelmann hält seinem Blick stand, während sich August noch ein Stück Brot abreißt. Zeit will er und freie Hand, Pöppelmanns sind keine Knechte.

Der Mann, dem Dresden ein Stück Glanz verdankt

Wer ist der Mutige, der dem berühmtesten Herrscher Sachsens, dem Kurfürsten von Sachsen und König von Polen Friedrich August I., so gegenübertritt und gerade den Auftrag für den Riss eines neuen Residenzschlosses erhalten hat? Ein Architekt von hohem Rang mit vorauseilendem Ruf? Mitnichten.

Es war ein harter Weg bis zu dem alles entscheidenden Moment, in dem Matthäus Daniel Pöppelmann seinen Ohren kaum zu trauen vermag und innerlich sein Glück nicht fassen kann. Über den privaten Menschen Pöppelmann weiß man wenig. Fast nur in seinem Werk zeigen sich die Konturen eines Mannes, dem Dresden ein Stück Glanz verdankt.

Pillnitz, die einstige Sommerresidenz der sächsischen Kurfürsten und Könige, gilt als eine der großartigsten barocken Schloss- und Parkanlagen Europas. Foto: Patrick Eichler (DML-BY)

Als Pöppelmann mit 18 Jahren aus dem bescheidenen Elternhaus im Westfälischen auszieht, um sein Glück zu machen, befindet sich Europa im Baurausch. Der absolutistische Hofstaat in Paris versprüht Machtfülle und Dekadenz und wird anderen Machthabern zum Vorbild: Die zentralisierte Macht soll sich in gigantischen Bauwerken widerspiegeln.

Auch in den deutschen Kleinstaaten, die sich vom Dreißigjährigen Krieg erholt haben, findet das barocke Bauen rege Nachahmer. Schwingende Formen, Kuppeln und Säulen, Giebel und Fensterkrönungen brechen die strenge Ordnung der Renaissance auf. Malerei und Skulptur werden in die Architektur mit einbezogen.

Kurfürst August der Starke und sein Streben nach Reichtum und Macht

Im Jahr 1680 kommt Pöppelmann an die Elbe. Er verdingt sich als unbezahlte Kraft im Oberbauamt und wächst zum fähigen Baumeister heran. Sechs Jahre später wird er zum Baukonduktor ernannt.

Friedrich August I. genießt derweil seine Freiheit: Er ist nicht für die Thronfolge bestimmt. Er reist, feiert und lebt seine Liebe zur Kunst.

Als sein Bruder unvermittelt stirbt, nutzt der junge Kurfürst seine Chance. Er will nicht nur einer unter vielen Machthabern sein: Er will mehr Reichtum, Glanz und politische Macht.

August der Starke war eine schillernde Persönlichkeit und Sachsens berühmtester Herrscher. Am Neustädter Markt in Dresden steht sein prunkvolles Denkmal: der Goldene Reiter. Foto: modernmovie/stock.adobe.com

Mit prunkvollen Bauwerken und Schlössern soll Dresden zum strahlenden Mittelpunkt seiner Herrschaft werden. Noch heute ist August der Starke in Dresden allgegenwärtig – ob als goldenes Reiterstandbild auf dem Neustädter Markt oder inmitten des Fürstenzuges aus 25.000 bemalten Meissener Porzellanplatten.

Eine schicksalhafte Verbindung aus Ambitionen und Ehrgeiz

Nach vielen Jahren im Bauamt hat Pöppelmann die Nase voll davon, Reparaturen an Gebäuden zu verantworten und gelegentlich Kostenvoranschläge zu machen. Seit geraumer Zeit prägt er das Dresdner Stadtbild durch den Bau von Bürgerhäusern. Nun wartet er auf eine neue Herausforderung.

Nach der Ernennung zum Landbaumeister kommt ihm der Ruf des Kurfürsten gerade recht. Von dieser Zeit an werden sich ihre Wege nicht mehr trennen. Auch wenn das bestehende Residenzschloss aus Geldgründen nie erneuert wird, beginnt für Pöppelmann eine ausgefüllte Schaffensperiode.

Eine typische Männerfreundschaft ist es aber nicht, die sich zwischen Pöppelmann und August dem Starken entwickelt. Ihr Bindeglied ist die Architektur. Beide haben zwei Dinge gemeinsam: Ambitionen und Ehrgeiz. Während August Krieg führt und reist, erschafft Pöppelmann ein Gebäude nach dem anderen für seinen Herrn.

Das Stadtpalais der Gräfin Cosel

Legendär sind Augusts Frauengeschichten. 350 Nachkommen soll er gezeugt haben, acht davon erkannte er an. Nach dem Aufenthalt im böhmischen Karlsbad kehrt der Kurfürst Anfang des 18. Jahrhunderts mit einer neuen Mätresse nach Dresden zurück.

Er verspricht Anna Constantia von Brockdorff, der späteren Reichsgräfin Cosel, ihr ein Palais zu bauen. Ein passender Standort ist schnell gefunden, denn auf dem Taschenberg gegenüber des Schlosses steht ein Haus zum Verkauf. Pöppelmann übernimmt die große Aufgabe, den Liebesbeweis zu errichten und damit das erste barocke Stadtpalais in Dresden zu schaffen.

Er hat einen guten Draht zur Gräfin und wird zu ihrem bevorzugten Baumeister. So steigert sich Pöppelmanns Ansehen in der höfischen Gesellschaft und auch sein Selbstvertrauen. Er beweist zum zweiten Mal Mut und fordert seine erste Gehaltserhöhung auf 600 Taler im Jahr.

Die barocke Pillnitzer Weinbergkirche wurde zwischen 1723 und 1725 nach Plänen Pöppelmanns erbaut. Foto: Alina Werner (DML-BY)

So wenig über Pöppelmanns Privatleben bekannt ist, dass er aus zwei Ehen sieben Kinder zu versorgen hat, ist überliefert. Nicht nur seine Leidenschaft für die Architektur treibt ihn also an, sondern auch existenzielle Not.

August verwindet die Gehaltserhöhung und plant sein nächstes Vorhaben mit Pöppelmann: eine Orangerie zur Züchtung seltener südländischer Gewächse. Dass dies der Grundstein für eines der beeindruckendsten Meisterwerke des europäischen Barock und Pöppelmanns Hauptwerk, den Zwinger, ist, ahnt in diesem Moment weder der eine noch der andere.

Der Zwinger: Festsaal unter freiem Himmel

Beeindruckt von einer Reise nach Italien, ins Ursprungsland des Barock, und voller Tatendrang kehrt Pöppelmann 1710 an den Hof zurück. Er will gigantische Bauten verwirklichen. August strebt nach der Kaiserkrone und schwelgt mit ihm in Entwürfen.

Das Vorhaben, nur eine Orangerie zu bauen, tritt immer mehr in den Hintergrund. Im Verlauf des Jahres 1711 entstehen große Teile des Mathematisch-Physikalischen Salons und die Bogengalerie des zukünftigen Zwingers. Durch reich verzierte Fassaden und mannigfaltige Dekorationen bringt Pöppelmann die Wärme des Südens in den Norden.

1719 wurde die Hochzeit des Sohnes von August dem Starken mit der kaiserlichen Tochter Maria Josepha im Zwinger mit einem rauschenden Fest unter freiem Himmel gefeiert. Foto: Michael R. Hennig (DML-BY)

Zusammen mit dem Bildhauer Balthasar Permoser beginnen die Arbeiten am Nymphenbad. Pöppelmann träumt von einem Ensemble, das bis an die Elbe reicht, von Museen, Kolonnaden und Wasserspielen. Die Stadtmauer steht im harten Kontrast zu seiner Vorstellungskraft.

August muss sich entscheiden zwischen den Sicherheitsbedenken des Militärs und der Loyalität zu seinem Architekten. Schließlich lässt er Lücken in den Wall brechen und der Wallpavillon am Zwinger entsteht. Pöppelmann wird der neue Oberlandbaumeister.

Als Augusts Kaiserambitionen verfliegen, gelten die baulichen Tätigkeiten einem neuen Ziel. Der Zwinger soll für die Hochzeit von Augusts Sohn mit der kaiserlichen Tochter Maria Josepha zum Festraum unter freiem Himmel werden. Obwohl bei Weitem nicht alles fertig ist, erlebt Dresden 1719 sein bisher rauschendstes Fest.

Danach herrscht Ebbe in den Kassen und es dauert zehn Jahre, bis Pöppelmann den Bau in seiner heutigen Form vollenden kann. Bis an die Elbe kommt er damit nicht mehr. Die zunächst offene Südseite wird Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem von Gottfried Semper entworfenen Museumsbau im Stil der italienischen Renaissance geschlossen. Heute beherbergt der Zwinger unter anderem die weltberühmte Gemäldegalerie Alte Meister, die Porzellansammlung und den Mathematisch-Physikalischen Salon.

Umbauten an den Schlössern Pillnitz und Moritzburg

Noch während Pöppelmann den Kurfürsten bedrängt, in die Fertigstellung des Zwingers zu investieren, entdeckt dieser seine Leidenschaft für andere Bauwerke und verlangt auch hier vollen Einsatz von seinem Architekten. So lässt er elbaufwärts Schloss Pillnitz erweitern (1720–1723) und nördlich von Dresden das Jagdschloss Moritzburg umgestalten (1723–33).

1723 begann Pöppelmann im Auftrag Augusts des Starken, Schloss Moritzburg vom Renaissancebau zum barocken Jagd- und Lustschloss umzubauen. Foto: Patrick Eichler (DML-BY)

Als Pöppelmann 1733 vom Tod Friedrich Augusts erfährt, trauert er. Er war kein einfacher Vorgesetzter. Er hat ihn hingehalten, angetrieben und herausgefordert.

Und doch gab er ihm die Chance seines Lebens, ohne die seine Begabung nicht ans Tageslicht gekommen wäre. Sie ergänzten und inspirierten sich perfekt, der sprunghafte, sinnesfreudige Fürst und der solide, unermüdliche Arbeiter im Dienste der Krone. Seite an Seite stiegen sie auf: August der Starke zum berühmtesten Herrscher Sachsens, Pöppelmann zum Barockarchitekten von europäischem Rang.

Das Ende einer Ära

Für den Nachfolger seines Herrn ist Pöppelmann nicht mehr lange tätig. Eine nüchterne architektonische Ära beginnt, das neue Bauen ist nicht nach Pöppelmanns Art. Er beendet von August in Auftrag gegebene Projekte und lässt das Holländische Palais zum Japanischen Palais erweitern. Ganz in der Nähe erhebt sich die Dreikönigskirche, für die der Baumeister noch die Entwürfe liefert, die schließlich vom Architekten der Frauenkirche, George Bähr, ausgeführt werden.

Einer der letzten Aufträge Matthäus Daniel Pöppelmanns war die Erweiterung des Holländischen Palais zum Japanischen Palais. Foto: Sebastian Weingart (DML-BY)

1736 stirbt Pöppelmann in seinem Haus in der Schlossgasse im Alter von 72 Jahren. In seiner mehr als 50-jährigen Schaffenszeit hat er dem Dresden der Renaissance ein barockes Gesicht gegeben. Sein Tod markiert zugleich das Ende des höfisch-barocken Bauens in Dresden.

Autorin: Marita Lau

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